Eberhard Arnold

Versammlungsprotokoll, 2. März 1933

[Arnold, Eberhard and Emmy papers - T.S.H.]

EA 71a

Einige Worte zum Wesen und Auftrag der Gemeinde, wie sie im heiligen Geist zu den glaubenden Menschen kommt. Gegeben in den Bruderschaften und Gemeindestunden des Bruderhofs, Post Neuhof, Hessen-Nassau, Deutschland. Leonhard Ragaz in ehrerbietiger Dankbarkeit gewidmet und überreicht durch Eberhard Arnold, Hans Boller und Hans Zumpe, Anfang März 1933

In dieser Zeit ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir uns an die Sendung der Gemeinde erinnern, wie sie uns aufgetragen ist in der Ausgießung des heiligen Geistes. Wenn jemand uns fragt, ob wir als die Zusammensetzung einiger schwacher armseliger Menschen, (etwa 120 Menschen auf unserem Bruderhof oder 3800 Menschen mit den amerikanischen Bruderhöfen), die Gemeinde Gottes sind, so müssen wir antworten: „Nein, das sind wir nicht. Wir sind ein Gegenstand der Liebe Gottes mit allen anderen Menschen, wir sind ein Zielpunkt der Liebe Gottes mit allen anderen Menschen und wir sind unwürdig und unfähig und ungeeignet für die Anrichtung des heiligen Geistes, für den Aufbau der Gemeinde und für die Aussendung in alle Welt, ebenso und mehr als alle anderen Menschen.“

Aber wenn man die Frage so an uns richtet, dass man uns fragt: „Ist die Gemeinde Gottes bei euch? Kommt die Gemeinde Gottes dort, wo ihr seid, zu den Menschen, ist dort die Gemeinde Gottes in diesem Sinne: In den Sinn des heiligen Geistes, der allein die Gemeinde Gottes zu bringen vermag?“ – Dann müssen wir antworten: „Ja, das ist so. Überall, wo glaubende Menschen versammelt sind, die keinen anderen Willen mehr haben, als den einen einzigen Willen, dass das Reich Gottes komme und dass die Gemeinde Christi offenbar wird als die völlige Einheit seines Geistes, überall dort ist die Gemeinde, weil dort heiliger Geist ist. Allerdings ist eine Voraussetzung zu erfüllen, der bloße Wille der glaubenden Menschen genügt nicht; denn dieser gute Wille menschlicher Kräfte bleibt stecken im Menschlichen, Allzumenschlichen. Die Anrufung Gottes ist von Nöten, wenn wir den heiligen Geist empfangen wollen. Das Herbeirufen den heiligen Geistes ist von Nöten, wenn er zu uns kommen soll. Die Vereinigung der Glaubenden auf diesen einen Gegenstand ihres Flehens ist von Nöten. Wenn zwei oder drei einig werden sollten, was es ist, worum sie

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bitten, nur dann wird das Unmögliche möglich werden. Ohne die gemeinschaftliche Anrufung wird der heilige Geist nicht ausgegossen und ohne die Ausgießung des heiligen Geistes wird die Gemeinde nicht angerichtet und aufgebaut; und ohne die Anrichtung des heiligen Geistes gibt es keine völlige Gemeinschaft und keinen lebendigen Körper Jesu Christi in dem Aufbau seiner Gemeinde.“

Als die ersten Christen das Erlebnis des heiligen Geistes haben wollten, sagte ihnen Jesus, sie sollten zusammenstehen und warten, bis die Verheißung an ihnen erfüllt würde, nämlich jenes Versprechen Gottes, dass der Geist Gottes ausgegossen werden sollte über alles Fleisch, über hoch und niedrig, über Freie und Unfreie. Und daraufhin schlossen sich die Schüler Jesu zusammen zu einer heiligen Erwartung, die nichts anderes war als ein Herbeirufen Gottes und Seiner Kräfte. Viele Tage blieben sie so vereinigt in diesem Rufen und Warten, in dieser aktiven Erwartung des gemeinschaftlichen Schreie(n)s zu Gott. Und als die Zeit erfüllt war, geschah ein Brausen vom Himmel her, und von oben herab brach der heilige Geist herein. Wir Feuerflammen kam er auf alle Glaubenden. Sie empfingen die Gabe des heiligen Geistes und die Kräfte der zukünftigen Welt. Sie waren einig beieinander in der Lehre der Apostel, sie waren einig im Brotbrechen und in der Tischgemeinschaft, sie waren einig in der Gemeinschaft der Kräfte und Güter und einig im Gebet. So wurde Gemeinde und so wird Gemeinde stets von neuem. Wo aber diese Wirkung nicht ist, wo man nicht sieht, dass die Menschen in diesem gemeinsamen Rufen zu Gott mit dem heiligen Geist erfüllt, das Werk des heiligen Geistes an sich erdulden, dass völlige Glaubens-, Lebens-Gemeinschaft, völlige Arbeits- und Gütergemeinschaft und völlige Einigkeit und Einstimmigkeit in allem Tun zutage tritt, wo das nicht ist, kann man auch nicht von Gemeinde sprechen. Gewiss: Gott kann die Wirkungen der Gemeinde auch in ihren vorbereitenden Stadien sehen, die für Menschen unsichtbar sind. Insofern spricht man mit Recht von der „unsichtbaren“ Gemeinde. Denn der Geist Gottes wirkt überall und betätigt sich in allen Menschen; und Gott sieht das alles; und er allein kann es werten. Er allein kann es beurteilen. Nur der heilige Geist selbst kann beurteilen, was der heilige Geist wirkt. Von außen

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gibt es kein Urteil. Eine einzige Ausnahme bilden für uns Menschen die Werke, die Taten, die Früchte, die Ergebnisse, die Auswirkungen der Geisteseinheit. Das sind nun ganz bestimmte Tathandlungen, ganz deutlich erkennbare Tatsachen; an denen können und müssen wir feststellen, dass der heilige Geist allein das bewirken konnte, dass ganz allein Er das, was Gemeinde Jesu Christi ist, hervorbringen konnte. Wo wir diese Tatsachen und Tathandlungen der Frucht des heiligen Geistes nicht feststellen können, dürfen wir von Gemeinde nicht reden. Wo wir aber diese Tatsachen und Tathandlungen als Frucht des wirkenden heiligen Geistes sehen, müssen wir um der Ehre Gottes Willen sagen: „Das haben nicht Menschen getan; das hat Gott getan. Es gibt keine andere Erklärung: Das ist die Anrichtung des heiligen Geistes, das ist Gemeinde, Gemeinde, die allein von Gott kommt, die von Christus ist, die allein von dem heiligen Geist angerichtet werden kann.“ – Wir würden die Ehre Gottes verleugnen, wenn wir das verschweigen würden. Denn uns liegt ja gerade daran, allen Menschen zu bezeugen: „Diese Tathandlungen, diese Tatsachen sind nie und nimmer von Menschen gemacht oder aus Menschen hervorgegangen. Wir wissen, dass sie allein möglich und wirklich werden konnten durch das Herniederkommen des heiligen Geistes, welcher Gemeinde Gottes und Jesu Christi bringt.“ –

Und eben deshalb müssen wir in der Anrufung beharren. Bevor der heilige Geist ausgegossen wurde, bevor die völlige Gemeinschaft angerichtet wurde, waren sie zusammen in dem Rufen zu Gott. Und als der heilige Geist ausgegossen war, und die völlige Gemeinschaft gegeben und bewirkt war, waren sie erst recht zusammen in der gemeinschaftlichen Anrufung Gottes; denn ebenso wie diese Tatsache und Tathandlung einzig und allein durch den heiligen Geist als Gemeinschaft Jesu Christi von Gott aus bewirkt und begonnen werden konnte, ebenso vermag sie auch allein so und nie anders und nirgends anders zu bestehen.

Wir bekennen es freimütig, dass wir auch nicht einen einzigen Tag in Einheit und Einmütigkeit leben können, wenn uns nicht der heilige Geist gegeben wird, immer von neuem, wenn uns nicht Jesus Christus offenbar wird, immer von

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neuem, wenn Gott der Allmächtige nicht immer von neuem sein Werk unter uns tut, und zwar so, dass unsere eigenen Werke unter uns abgeschafft sind. Denn Gott tut sein Werk nur dort, wo die eigenen Werke beseitigt sind. Die Vorbedingung des Wirkens Gottes ist die Beseitigung der eigenen Werke der Menschen. – So zweigt es sich denn, dass das Geheimnis der Gemeinde die innerste Verwandtschaft hat mit dem Geheimnis des Reiches Gottes. Denn der letzte Tag der Herrschaft Gottes wird offenbar werden als Sabbath, an dem die Werke der Menschen ruhen und Gott regiert, indem Sein Werk herrscht. So muss auch dieser Charakterzug des Reiches an der Gemeinde Gottes deutlich erkennbar werden: Das Niederlegen aller eigenen Werke als das Schweigen und Ruhen alles eigenen Einflusses und die Aufrichtung des Werkes, das allein Gott tun kann als das Reden und Wirken Gottes.

In der jetzigen Lage der Dinge ist diese Tatsache bedeutungsvoller und entscheidender als jemals. Die Ungerechtigkeit nimmt in Amerika, in Ostasien, in Mitteleuropa und in Osteuropa überhand, gerade auch von Seiten der Regierungen. Das Blutvergießen und die ungerechte Vergewaltigung ganzer Menschenklassen nimmt zu. Wir stehen mit der ganzen zivilisierten Menschheit vor einem Untergang. Und unter denjenigen, welche sich zu Jesus Christus bekennen, erkaltet die Liebe mehr und mehr; die Feindschaft und der Hass nehmen zu; der Kriegszustand breitet sich aus; das Blutvergießen steigt an; wie eine Höllenflut durchsetzt es ganze Völker und erobert ganze Erdteile. Jetzt gilt es mehr als jemals, den Auftrag der Gemeinde Jesu Christi als das jetzige Werk Gotte so klar und so rein in diese unsere blutige Weltzeit so hineinzustellen, wie es allein Gott bewirken kann.

Deshalb sind wir hier zur Anrufung zusammen: In dem Bewusstsein unserer Kleinheit und Unzulänglichkeit, unserer Unwürdigkeit und Unfähigkeit kommen wir vor Gott und bitten ihn, dass Er das über uns ausschütte und in unserer Mitte werden und sein lasse, was wir nicht sind, dass Er uns das gebe, was wir nicht haben, dass Er unter uns das wirke, was wir nicht tun können, dass Er uns von neuem seinen heiligen Geist gebe, dass Er die Anrichtung und den

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Aufbau unter uns schaffe, der der ganzen Welt das entscheidende Lebenszeugnis zu vermitteln hat: Es ist die Tatsache, dass alle so eines sind wie der Vater und der Sohn in dem ausgesandten heiligen Geist eines ist.

Niederschrift der Anrede des Wortführers Eberhard Arnold in der Gemeindestunde des deutschländischen Bruderhofes am Abend des 2. März 1933.